Sprachvariation: Eine Fallstudie über Ryukyuan Sprachen in Japan – ein Interview mit Dr. John Huisman

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Dr. John Huisman hat seine Doktorarbeit mit dem Titel „Variation in Form und Bedeutung in der Japonischen Sprachfamilie mit Schwerpunkt auf Ryukyuan Sprachen“ am 30. März 2021 erfolgreich verteidigt.

Worin bestand die Hauptfragestellung Deiner Dissertation?

Das ist eine schwierige Frage, aber wenn ich das übergreifende Thema beschreiben müsste wäre es: wie sich die Sprachen, die auf den Ryukyu Inseln im Süden Japans gesprochen werden vom Japanischen unterscheiden, und was uns diese Unterschiede über allgemeine Sprachvariation sagen können. Innerhalb dieses Themas habe ich verschiedene Teile des Vokabulars untersucht: Grundwörter, von welchen wir vermuten, dass sie von allen Sprachen genutzt werden (z.B., „Feuer“, „gehen“); und drei Gruppen von verwandten Wörtern die „semantische Domänen“ formen, eine in ihrer Bedeutung kohärente Gruppe: Wörter für Farben, Bezeichnungen für Körperteile, und Verben für Handlungen, wie „schneiden“ und „brechen“.

Kannst Du mir den theoretischen Hintergrund etwas genauer erklären?

Sprachen unterscheiden sich voneinander in mehreren Aspekten: Sie können sich in ihrer Aussprache unterscheiden, wie bei den Wörtern green im Englischen, groen im Niederländischen oder grün im Deutschen; Sie können auch komplett unterschiedliche Wörter benutzen wie body im Englischen, lichaam im Niederländischen und Körper im Deutschen; und sie können sich auch in der Bedeutung der Wörter unterscheiden, so wie das Schneiden mit einer Schere oder einem Messer, für welches es im Niederländischen zwei Bezeichnungen gibt (snijden und knippen), im Englischen (to cut) und Deutschen (schneiden) dahingegen nur eine Bezeichnung für beide existiert.

Warum ist eine Antwort auf diese Frage wichtig?

Wir gebrauchen Sprache, um festzuhalten wie wir über unsere Erfahrungen in der Welt um uns herum denken. Die diversen Erfahrungen verschiedener Menschen mit unterschiedlichen Kulturen hat zu tausenden verschiedenen Sprachen weltweit geführt. Verschiedene Arten der Variation (so wie oben beschrieben) zu untersuchen ist wichtig, wenn wir verstehen wollen wie Sprache funktioniert und es ist vor allem wichtig, dass wir das in vielen verschiedenen Sprachen tun, weil wir so sich wiederholende Muster in der Variation entdecken können. Leider werden einige Sprachen immer weniger benutzt, deswegen müssen wir gerade diese Sprachen untersuchen, weil sie möglicherweise einzigartige Eigenschaften haben, die wir nicht mehr untersuchen können, wenn die Sprachen erst einmal ausgestorben sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass wir in 100 Jahren noch immer Deutsch, Englisch und Niederländisch untersuchen können, aber andere Sprachen wird es dann nicht mehr geben. Die Ryukyuan Sprachen, die ich untersucht habe sind nur ein Beispiel von solch vom Aussterben bedrohten Sprachen.

Kannst Du uns etwas mehr über ein bestimmtes Projekt erzählen?

In einem Projekt schauten wir uns Wörter für Farben an, wie rot, schwarz und weiß. Das Thema ist in der Sprachforschung sehr bekannt und wurde in zig Sprachen untersucht. Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen klassifizieren Farben anders. Einige Sprachen haben nur ein paar relative breite Bezeichnungen (z.B., ein Wort für „warme“ Farben), während andere pink, rot, orange und gelb mit eigenen Bezeichnungen unterscheiden. Aber generell sehen wir, dass die Anzahl von Bezeichnungen von Farben im Laufe der Zeit zunimmt und, dass die Reihenfolge in der die Farben hinzugefügt werden relativ vorhersehbar ist. Die meisten der Studien sind allerdings Jahrzehnte alt. Tatsächlich gibt es auch Daten über die Ryukyuan Sprachen aus den 1960ern, einer Zeit in der sie noch nicht so bedroht waren wie es nicht sind. Das gab mir die einzigartige Möglichkeit zu untersuchen was sich über die Zeit hinweg verändert hat. Weil die Sprachen mittlerweile vom Aussterben bedroht sind, interessierte mich vor allem jeglicher Einfluss des Japanischen, der Mehrheits- und Standardsprache, sowie des Englischen als Weltsprache. Ich zeigte Ryukyuan Sprechern ein Set farbiger Chips und fragte sie die jeweiligen Farben zu benennen. Ich verglich meine Daten mit den aus den 60ern und stellte fest, dass Ryukyuan Sprecher tatsächlich japanische und englische Wörter benutzten, was in 1960 noch nicht der Fall gewesen war. Außerdem zeigten meine Ergebnisse, dass Ryukyuan Farbwörter noch immer im Gebrauch sind, allerdings in sehr spezifischen Weisen, die sich vom Japanischen unterscheiden. Zum Beispiel, werden die Wörter für „rot“ und „blau/grün“ generell für ein breiteres Spektrum benutzt als die japanischen Äquivalente. Darüber hinaus veränderte sich deren Bedeutung nicht viel in den letzten Jahrzehnten. Das zeigt, dass einige Teile des Vokabulars stabil bleiben können, während sich andere Teile einem Wandel unterziehen.

Was ist Deine wichtigste Erkenntnis?

Was ich persönlich beim Vergleichen von Japanisch und Ryukyuan Sprachen super interessant fand ist, dass es immer ganz klare Unterschiede gab. Auch wenn die Ryukyuan Inseln viel kleiner sind als die japanischen Hauptinseln, gab es zwischen den Ryukyuan Sprachen mehr Variation als in den japanischen Dialekten. In der biologischen Evolution sehen wir manchmal auch, dass Spezies sich auf Inseln, wenn sie isoliert sind, sehr verschieden entwickeln. Es sieht danach aus, dass das Gleiche auch bei Sprachen zutrifft.

Welche Folgen hat diese Erkenntnis? Wie bringt sie die Wissenschaft oder die Gesellschaft voran?

Es zeigt, was für eine Rolle die Geographie spielt in Sprachvariation und Veränderung. Auch wenn das alleine keine Neuigkeit für Linguisten ist, glaube ich, dass es trotzdem interessant ist zu sehen, dass ein Faktor, der nichts mit Sprache zu tun hat einen solch großen Einfluss haben kann. Es eröffnet neue Möglichkeiten Sprachvariation und Veränderung mit breiterer Perspektive zu untersuchen, indem man Methoden aus dem Feld benutzt, die ähnliche Prozesse außerhalb der Sprache untersuchen, wie zum Beispiel in der Biologie und Ökologie. Außerdem gibt es neuerdings zunehmendes Interesse an systematischer Erforschung von „Bergsprachen“ von welchen behauptet wird, dass sie linguistisch komplexer wären, z.B., in dem Lautsystem oder Grammatik. Da stellt sich deswegen auch die Frage, ob es bei „Inselsprachen“ auch so sein könnte. Ich finde es sehr aufregend zu sehen zu was für Erkenntnissen diese neuen Perspektiven in der Zukunft linguistischer Arbeit führen könnten, vor allem für Japan, ein Land welches durch sowohl Berge als auch Inseln gekennzeichnet ist.

Was willst Du als Nächstes tun?

So wie viele Forscher will ich mehr Daten von verschieden Sprachen versammeln. Japanisch und die Ryukyuan Sprachen bilden nur eine kleine Sprachfamilie, aber ich würde gerne sehen ob die Ergebnisse aus meiner Dissertation auch für größere Familien zutreffen, wie die Indo-Europäische Sprachen, die Austronesischen Sprachen aus Südostasien und den Inseln des Pazifiks. Zum Glück arbeite ich gerade an der Uppsala Universität, wo ich genau das mache: Sprachvariation und Veränderung in Wortbedeutung innerhalb der Indo-Europäischen Familie mit neuen Analysemethoden untersuchen.

Interviewerin: Merel Wolf
Redacteurin: Julia Egger
Niederländische Übersetzung: Elly Koutamanis
Deutsche Übersetzung: Ronny Bujok