Stellen Sie sich Folgendes vor: Sie erfrieren in einer Eishöhle auf einem Planeten, der 4 Jahre Raumfahrt von der Erde entfernt ist. Aus der Eishöhle tauchen lebensgroße haarige Kakerlaken auf. Was würden Sie tun? Und was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du nachgedruckt wurdest? „Ich hoffe, sie werden sich beeilen“, sagt die Stimme, die die ersten Bilder von Mickey 17 begleitet.
Die Wiederauferstehung des Menschen
In Mickey 17 wird der Protagonist Mickey von einem großen 3D-Gewebedrucker immer wieder neu gedruckt, während seine Erinnerungen über eine Badekappe mit Elektroden geladen werden. Diese Erinnerungen werden regelmäßig gesichert und waren vor der Expedition mit Hilfe einer abrufenden Droge abgerufen worden. Mickey ist ein entbehrlicher Mensch, ein Wegwerfwesen. Er wird für gefährliche Missionen und wissenschaftliche Forschungen eingesetzt. Und wenn er stirbt, wird er in seinem letzten gesicherten Zustand wiederhergestellt. Er hatte sich für die letzte Weltraumexpedition gemeldet und musste unbedingt mit. Er meldete sich, um etwas zu sein, was sonst niemand sein wollte.
Aber wie realistisch ist es, einen Menschen nachzudrucken? Nun, weniger weit hergeholt, als es scheint. Bereits 2019 wurde das erste Herz aus menschlichen Zellen gedruckt, und die technischen Entwicklungen sind seither weiter fortgeschritten. Die Kombination dieser Techniken, um einen Menschen zu drucken, ist zwar viel komplizierter, aber da immer mehr Organe gedruckt werden können, ist es nicht völlig unvorstellbar.
Das Hochladen von Erinnerungen, Persönlichkeit und Sprachkenntnissen ist dagegen viel komplizierter. Viele unserer Langzeitgedächtnisse sind nicht an einer Stelle im Gehirn gespeichert, sondern im gesamten Gehirn. Forscher versuchen, das Gehirn mit Hilfe künstlicher Intelligenz zu lesen, aber es so detailliert wiederherzustellen, liegt noch in weiter Ferne. Wie diese Erinnerungen in ein neues Gehirn zurückgebracht werden können, ist sogar noch komplizierter, denn man müsste all diese einzelnen Verbindungen wiederherstellen.
Die Erfahrungen können also unterschiedlich sein, auch im Film. Die verschiedenen nachgedruckten Mickeys haben etwas unterschiedliche Persönlichkeiten. Micky 17 ist ein bemitleidenswerter und liebenswerter Schwächling, aber Micky 18 entpuppt sich als echte Bulldogge, die bekommt, was sie will. Dafür gibt es eine wissenschaftliche Grundlage: In der Genetik sind die Ergebnisse selbst bei identischem genetischen Code, wie bei eineiigen Zwillingen, nicht identisch, weil die Biologie voller Schwankungen und Rauschen ist und weil eine unterschiedliche Umgebung zu unterschiedlichen Ergebnissen führt, was als Wechselwirkung zwischen Gen und Umgebung bezeichnet wird.
Zwischenspiel: unser Verhältnis zum Tod
Was bedeutet der Tod noch, wenn man immer wieder neu gedruckt wird? Im anschließenden Gespräch mit der ehemaligen ‚Denker des Vaderlands‘ (der Nationalphilosoph), Marli Huijer, geht es um unser Verhältnis zu Tod und Sterben. Huijer führt das Konzept des rechteckigen Lebens ein. Wir wünschen uns ein Leben, das von Anfang bis Ende glücklich ist und dann mit einem Schlag endet. Wir haben in unserer Gesellschaft alles akute Leiden abgeschafft, so dass nur noch chronisches Leiden übrig bleibt, so Huijer. Auch der Film scheint diese rechteckige Vision widerzuspiegeln: Mickey zeigt in 4 Jahren Raumfahrt keine Anzeichen von Alterung. Diese rechteckige Sichtweise bringt eine Angst vor dem Tod mit sich, sagt Huijer.
Man kann lernen, mit dem Tod umzugehen, indem man über ihn spricht und ihn aus der Tabuzone holt. Auch das Erleben eines guten, friedlichen Todes kann enorm helfen. Im Film fällt es Mickey schwer, damit umzugehen. „Wie fühlt es sich an zu sterben?“, wird er regelmäßig gefragt, worauf er ausschlägt oder später gesteht, dass er es gar nicht mag.
Kommunikation zwischen Arten
Zurück zur Anfangsszene. Was tust du, wenn sich herausstellt, dass die große Kakerlake dich nicht fressen will, sondern dich wieder herauszieht? Wieder raus in die Kälte, in die Freiheit. Plötzlich entpuppen sich die fremden Kreaturen als nicht bösartig. Sie lassen dich in Ruhe und zeigen mütterliche Zuneigung zu ihren Jungen. „Ich bin immer noch gutes Fleisch“, sagst du ihnen. Wie erklären Sie das dann Ihrem Chef, der alle Kakerlaken ausrotten will?
Die Übersetzung ist der Schlüssel. Mickey wird mit einem Gerät zu ihnen zurückgeschickt, das die niedrigen Grunzlaute in Englisch umwandelt. Lange Zeit dachten die Menschen, sie seien die Einzigen mit einer komplexen Sprache. Jüngste Forschungen zeigen jedoch, dass der Walgesang einige der komplexen kulturellen Muster der Rekombination und Verbreitung durch den Kontakt zwischen verschiedenen Gruppen teilt (https://doi.org/10.1038/35046199 , https://doi.org/10.1098/rstb.2020.0313 ). Außerdem folgen die Laute im Gesang einer ähnlichen Häufigkeitsverteilung wie in der menschlichen Sprache: Zipfian-Verteilung. Die Zipf-Verteilung bedeutet, dass einige wenige Wörter sehr häufig vorkommen und die Häufigkeit dann schnell abnimmt.
Die Bedeutung des Walgesangs ist den Wissenschaftlern jedoch noch völlig unklar. Die Geschwindigkeit und die geringe Menge an Daten, die sie im Film verwenden, sind ein wenig unrealistisch. Drei Geräusche und der abtrünnige Hauptforscher weiß genug. Einen Tag später ist der Übersetzer da. Das ist eine tolle Geschichte, aber sie ist weit davon entfernt, wo wir heute in der Wissenschaft stehen. Aber wer weiß schon, wie die Welt in fünf Jahren aussehen wird. Vielleicht kann künstliche allgemeine Intelligenz dabei helfen.
Entlarvung der Muskianischen Auffassung von Wissenschaft
Letztlich ist Mickey 17 eine politische Satire über die Situation in Amerika. Es gibt bemerkenswerte Parallelen zu Musks Vision von Wissenschaft: „Lesen“ des Gehirns (Neuralink), Fortführung der menschlichen Zivilisation auf einem anderen Planeten (SpaceX), Übersetzung mithilfe von KI (Grok). Der Leiter der Expedition, Marshall, ist eine komische Darstellung eines Trumpschen Anführers. Er ist mehr an schnulziger Unterhaltung als an echter Führung interessiert und hat eine Fangemeinde, die ihn für den Messias hält. Marshalls Behauptungen einiger Charaktere über die Vermehrung der reinen weißen Ethnie scheinen mit einigen von Musks Äußerungen über Eugenik übereinzustimmen. Und selbst im Film ist die Religion eine Fassade der Unterhaltung und nicht die Verkörperung tieferer religiöser Werte. Obwohl der Film futuristisch anmutet, ist er in vielerlei Hinsicht eine Rückbesinnung auf die Wissenschaft des neunzehnten Jahrhunderts, die mit dem Kapitalismus dieser Ära und all seinen Schattenseiten verwoben ist. Bong Joon Ho will sie entlarven, sich über sie lustig machen und uns einen anderen Weg zeigen.
Der Film endet nicht mit Musks Sicht auf die Wissenschaft. Im entscheidenden Moment rebelliert ein Großteil der Besatzung. Die Kakerlaken werden nicht ausgerottet, obwohl sie kurz davor waren, und der 3D-Drucker wird schließlich von Mickey in die Luft gesprengt, so dass Mickey 17 wieder einfach Mickey wird. Das Leben ist eben doch nicht entbehrlich.
Dieser Beitrag wurde von Carmen Ramoser bearbeitet.