Zweisprachigkeit beeinflusst nicht wie du gestikulierst: Ein Interview mit Dr. Zeynep Azar

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Dr. Zeynep Azar war eine Doktorandin am Max Planck Institut für Psycholinguistik. Sie verteidigte ihre Doktorarbeit mit dem Titel ‘The moment in between: Planning speech while listening’/‘Der Moment zwischendrin: Sprechen planen während man Zuhört‘ am 8. Juli 2020.

1. Worin bestand die Hauptfragestellung Deiner Dissertation?
Aufgrund der steigenden Globalisierung und Immigration bestehen die Demografien vieler Länder aus Menschen mit verschiedener Sprache und Herkunft. Das bedeutet, dass Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, täglich miteinander in Kontakt kommen, wie zum Beispiel Spanisch und Englisch in den USA oder Türkisch und Niederländisch in den Niederlanden. Durch solche Sprachkontakte zweisprachig aufzuwachsen ist keine Ausnahme und wirft somit folgende Frage auf: Wie beeinflusst Sprachkontakt die Sprache und Kommunikation von Zweisprachlern?

Zeynep Azar
2. Kannst Du mir den theoretischen Hintergrund etwas mehr erklären?
Wir wissen aus bisheriger Forschung, dass sich die Art und Weise in welcher Menschen kommunizieren durch Sprachkontakt verändert. Im Spanischen zum Beispiel werden Pronomen (z.B., yo „ich“, ella „sie“) nicht immer genutzt, nur wenn Sprecher das Subjekt des Satzes betonen möchten. Im Englischen müssen Pronomen allerdings in jedem Satz genutzt werden. Aus früheren Studien wissen wir, dass Spanisch-Englische Zweisprachler in den USA beginnen, Pronomen im Spanischen öfter zu gebrauchen als Sprecher die nur Spanisch sprechen (Einsprachler) und keine zweite Sprache. Dies hängt damit zusammen, dass das Englisch ihr Spanisch beeinflusst. Da sich Türkisch und Spanisch sowie Niederländisch und Englisch im Gebrauch von Pronomen ähneln, habe ich untersucht ob sich der unterschiedliche Pronomengebrauch auch in Türkisch-Niederländischen Zweisprachlern bemerkbar macht.

Mein Fokus war, wie Sprecher in Erzählungen über Dritte-Person-Figuren reden, genauer gesagt, wie sie Pronomen für diese Figuren einführen und beibehalten. Niederländer gebrauchen ganze Phrasen als erste Einführung und danach Pronomen, um sich auf dieselben Figuren zu beziehen (Roos wil TV kijken. Ze doet de TV aan [Roos will Fernseh schauen. Sie macht den Fernseher an.]). Türkische Sprecher gebrauchen normalerweise keine Pronomen, da der Zuhörer meistens anhand des Verbs versteht, auf wen es sich bezieht (Roos televizyon izlemek istiyor. Televizyonu açıyor [Roos will Fernseh schauen. Macht den Fernseher an.]).

Was Gesten betrifft, wussten wir nicht, ob es Unterschiede in deren Gebrauch zwischen Türkischen und Niederländischen Sprechern gibt. Da mediterrane Kulturen allerdings meist mehr gestikulieren, dachten wir, dass Türkische Sprecher mehr gestikulieren als Niederländische. Das ist auch genau das, was ich mit meiner Studie bestätigen konnte.

3. Warum ist eine Antwort auf diese Frage wichtig?
Es ist wichtig zu verstehen, ob und wie eine Sprache sich verändert wenn dessen Sprecher in Kontakt mit anderen Sprachen kommen. Das hilft uns zu verstehen, wie Sprachen sich durch Sprachkontakt verändern. Diese Ergebnisse können auch dazu beitragen neue Regelungen und Anwendungen zu entwickeln, um Zweisprachlern die Möglichkeit zu geben ihre Muttersprache weiterhin hören und benutzen zu können (in diesem Fall Türkisch), und Sprachverluste im Laufe der Zeit zu minimieren.

4. Kannst Du uns etwas mehr über ein bestimmtes Projekt erzählen?
Die Teile meiner Dissertation basieren alle auf einem großen Projekt mit jeweils unterschiedlichem Fokus.

5. Was ist Deine wichtigste Erkenntnis?
In Kapitel 4 mit dem Titel ”Language Contact Does Not Drive Gesture Transfer”, habe ich untersucht was mit Gesten passiert wenn zwei Sprachen, in denen unterschiedlich gestikuliert wird, in Kontakt kommen. Um diese Frage zu beantworten habe ich zuerst untersucht ob es wirklich der Fall ist, dass (einsprachige) Türkische Sprecher mehr gestikulieren als (einsprachige) Niederländische Sprecher. Insgesamt haben Türkische Sprecher mehr gestikuliert als Niederländische Sprecher. Dann habe ich die Gesten von Türkisch-Niederländischen Zweisprachlern untersucht, während sie Türkisch sprachen und während sie Niederländisch sprachen. Obwohl Zweisprachler beim Aufwachsen zwei unterschiedlichen Kommunikationssystemen ausgesetzt sind (Türkisch und Niederländisch), fand ich heraus, dass sie wie einsprachige Sprecher der jeweiligen Sprache gestikulieren. Zweisprachler gestikulierten im Türkischen genauso viel wie einsprachige Türkisch Sprecher in der Türkei. Wenn die Zweisprachler Niederländisch sprachen, gestikulierten sie weniger als wenn sie Türkisch sprachen und genauso viel wie einsprachige Niederländisch Sprecher in den Niederlanden.

6. Welche Folgen hat diese Erkenntnis? Wie bringt sie die Wissenschaft oder die Gesellschaft voran?
Obwohl Türkische und Niederländische Sprecher unterschiedlich viel gestikulieren, konnte ich nicht herausfinden, dass der Kontakt zwischen diesen beiden Sprachen (bei Zweisprachlern) beeinflusst, wieviel pro Sprache gestikuliert wird. Diese Zweisprachler gestikulierten in beiden Sprachen jeweils so viel wie einsprachige Türkisch oder Niederländisch Sprecher. Trotz des Sprachkontaktes unterschiedlicher Sprachen und besonders sprach/kulturell-spezifischer Muster des Gestikulierens bei Zweisprachlern, ändert dieser Kontakt nicht wie viel diese Sprecher gestikulieren. Diese Ergebnisse zeigen, dass es entgegen allgemeinen Erwartungen möglich ist, dass sich Sprecher mit Migrationshintergrund völlig an die Sprache ihres neuen Landes anpassen können. Dies gilt sowohl für gesprochene Sprache als auch für Gestik. Gleichzeitig können sie auch die Muster ihrer Muttersprache beibehalten.

Die Ergebnisse meiner Forschung bedeuten, dass Zweisprachler mit Migrationshintergrund jede Sprache mit der sie aufwachsen meistern können, wenn sie genug Möglichkeiten zum Üben haben. Kompetenz in der Minderheitensprache (in diesem Fall Türkisch) geht also nicht auf Kosten von der Mehrheitssprache (in diesem Fall Niederländisch). Dies hat zum Beispiel Auswirkungen auf Bildungsregeln bezüglich Minderheitensprachen.

Es ist wichtig zu betonen, dass es sehr wahrscheinlich ist, dass die Zweisprachler die ich untersucht habe keine Unterschiede zeigten, weil sie beide Sprachen täglich benutzen. Zusätzlich ist es in der Türkischen Gemeinschaft in den Niederlanden sehr wichtig die Sprache aufrecht zu erhalten, da die Menschen noch immer starke Verbindungen in die Türkei haben. Das bedeutet, dass es für zukünftige Studien mit Zweisprachlern wichtig ist zu berücksichtigen, wie oft und viel Zweisprachler eine Sprache tatsächlich gebrauchen.

7. Was willst Du als nächstes tun?
Im Moment arbeite ich als Lektorin an der Universität in Rotterdam für angewandte Wissenschaften. Ich werde weiterhin unterrichten, da das schon von Beginn an meine Leidenschaft war (ich habe Fremdsprachenpädagogik im Bachelor studiert). Neben dem Unterrichten schaue ich nach Möglichkeiten um am Forschungsinstitut derselben Universität praxisbasierte Forschung der Sprachpädagogik durchzuführen. Hier könnte ich mich auf die Problematik in der Praxis von Sprachen unterrichten und lernen fokussieren, um neue Einblicke und Verbesserungen hierzu beitragen zu können.

 

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Interviewerin: Merel Wolf
Redakteurin: Julia Egger
Niederländische Übersetzung: Annelies van Wijngaarden
Deutsche Übersetzung: Natascha Roos
Endredaktion: Merel Wolf