Was ein Kind uns über das Erlernen von Wörtern gelehrt hat
Von Anna Mao
Sie sind spazieren und sehen ein süßes Haustier im Gras vor sich. Sofort denken Sie: Oh, ein Hund! Halten Sie nun einen Moment inne und denken Sie nach: Hunde gibt es in vielen verschiedenen Formen und Größen, und Sie haben vielleicht noch nie einen wie diesen gesehen. Wie wussten Sie also, dass das, was Sie betrachten, ein Hund ist? Und wie kommt es, dass sogar ein Zweijähriger Ihnen dasselbe sagen könnte? Woher kommt diese erstaunliche Fähigkeit, so schnell und genau zu benennen, was wir sehen?
Mit Wissen geboren oder einfach gelernt?
Wissenschaftler sind schon lange neugierig darauf, wie Menschen lernen, dass bestimmte Wörter sich auf bestimmte Objekte beziehen. Für ein neugeborenes Baby, das das Wort zum ersten Mal hört, könnte „Hund“ alles bedeuten – das Spielzeug, auf das seine Mutter zeigt, die Richtung, in die sie zeigt, die Art von Tier, die das Spielzeug darstellt, oder alles Braune und Weiche. Wie lernt also dieses Baby, genau zu bestimmen, dass Hunde wie Dalmatiner, Chihuahuas oder Huskys aussehen können, aber nicht wie Bären?
Wissenschaftler sind unterschiedlicher Meinung darüber, warum wir in der Lage sind, Wörter zu lernen. Einige glauben, dass Menschen mit einer spezifischen Fähigkeit geboren werden, die uns beim Erlernen von Wörtern hilft. Andere glauben, dass sich unsere erstaunliche Fähigkeit, Wörter zu lernen, zusammen mit komplizierteren Fähigkeiten wie logischem Denken entwickelt. Schließlich glauben einige Wissenschaftler, dass unser frühes Wortlernen auf der Basis viel einfacherer Fähigkeiten steht, die überhaupt nicht viel Vorwissen erfordern. Mit anderen Worten: Wir lernen Sprache genauso wie wir viele andere Dinge lernen – indem wir erkennen, dass bestimmte Dinge zusammengehören, wie die Sonne und Wärme, oder in diesem Fall Wörter und die Dinge, die sie beschreiben. Dies wird als „assoziatives Lernen“ bezeichnet.
Aber was für Beweise haben wir dafür, dass assoziatives Lernen ausreicht?
Wie ein echtes Kind es sieht (und hört)
Eine Gruppe von Forschern kam auf eine neuartige Idee – aufzuzeichnen, was ein echtes Kind sieht und hört, und zu prüfen, ob ein Computerprogramm allein aus diesem Material mit einfachem assoziativem Lernen Wörter lernen kann.
Ihre Studie konzentrierte sich auf Daten eines Kindes namens Sam, der im Alter von 6 bis 25 Monaten zu verschiedenen Zeiten eine an seinem Kopf befestigte Kamera trug. Über anderthalb Jahre zeichnete Sam 61 Stunden Videomaterial von Dingen auf, die er sah und hörte, einschließlich 37.500 Fälle, in denen er sprach oder Menschen mit ihm sprachen.

Bildquelle: Scientific American
Sam mit der am Kopf befestigten Kamera
Um zu testen, ob das Lernen einfacher Assoziationen für ein Kind ausreicht, um ein Wort zu lernen, entwickelten die Forscher ein maschinelles Lernprogramm, das aufzeichnete, was Sam durch seine Kamera sah und was er hörte, während er es betrachtete. Durch die Kombination der beiden und die Bestimmung, welche Objekte und Wörter gleichzeitig aufgezeichnet wurden, „lernte“ das Programm, welche Wörter zu welchen Objekten passen.
Hat das Programm Wörter gelernt?
Wie können wir feststellen, ob das Programm Wörter „gelernt“ hat wie Kinder? Indem wir es dieselben Aufgaben machen lassen, die ein Kind kann! Nachdem das Programm alle 61 Stunden Video durchgearbeitet hatte, stellten die Forscher sein Lernen auf die Probe: Sie zeigten vier verschiedene Bilder aus Sams Videomaterial und baten das Programm zu bestimmen, welches davon zu einem bestimmten Wort passte.
Zum Beispiel zeigten die Forscher diese vier Bilder und fragten: „Welcher ist der Ball?“

Bildquelle: Science
Das Ergebnis? Das Programm benannte Objekte, die es zuvor gesehen hatte, in etwa zwei Dritteln der Fälle korrekt. Das mag nach nicht viel erscheinen, aber es ist etwa so gut wie ein anderes Programm, das über 10.000 Mal mehr Daten durcharbeitete – und während jenes Programm kompliziertere Schritte verwendete, nutzte das neue Programm basierend auf Sams Videos nur assoziatives Lernen. Einfachheit tut den Trick.
Aber hat es wirklich Wörter gelernt?
Natürlich reicht es nicht aus, nur Namen und Objekte zusammenbringen zu können, die das Kind bereits gesehen hatte. Wenn wir wirklich wissen, was ein Hund ist, erkennen wir nicht nur Hunde, die wir schon gesehen haben, sondern alle Hunde. Um zu testen, ob das Programm wirklich die Wörter für Objekte gelernt hatte, zeigten die Forscher dem Programm Bilder, die das Kind nie gesehen hatte, mit unrealistischen weißen Hintergründen und baten es zu bestimmen, welches zu einem Wort passte, das es angeblich „gelernt“ hatte.
Zum Beispiel: Welcher von diesen ist der Ball?

Bildquelle: Science
Diesmal traf das Programm in einem Drittel der Fälle die richtige Wahl. Das ist nicht sehr gut, aber immer noch besser, als wenn es zufällig eine von vier Optionen gewählt hätte. Assoziatives Lernen mag nicht ausreichen, damit ein Kind ein Wort vollständig lernt – aber es ist ein ziemlich solider Anfang!
Natürlich können andere Fähigkeiten und Kenntnisse zum frühen Wortlernen beitragen – das Programm war nicht vollkommen akkurat und hatte Schwierigkeiten, Objekte in unbekannten Szenen zu benennen. Dennoch kann assoziatives Lernen ein guter Start sein.
Wenn Sie das nächste Mal einen süßen Hund sehen, nehmen Sie es nicht als selbstverständlich hin, dass Sie wissen, was er ist. Ihre Fähigkeit, ihn zu identifizieren, ist ziemlich unglaublich – auch wenn sie vielleicht einfacher anfängt, als Sie denken!
Autorin: Anna Mao
Redaktion: Jitse Amelink
Übersetzung Deutsch: Carmen Ramoser
Dieser Artikel verweist auf folgendes Paper: “Grounded language acquisition through the eyes and ears of a single child,” by Wai Keen Vong, Wentao Wang, A. Emin Orhan, and Brenden M. Lake. Das vollständige Paper kann hier gefunden werden.
